Politiker und Wirtschaftslenker planen für die Zeit nach der Corona-Krise. Unter dem Stichwort „The Great Reset“ wird im Mai 2021 das Weltwirtschaftsforum in der Schweiz stattfinden. Kritiker befürchten, dass die „Systemverbesserung“ auf eine vollständige Machtübernahme der Konzerne hinausläuft.
von Kani Tuyala
Die Corona-Krise nimmt kein Ende. Die täglichen „Wasserstandsmeldungen“ über steigende „Infektionszahlen“ in den nun beginnenden dunklen und kalten Monaten sorgen auch hierzulande für ein Gefühl der Daueranspannung und eine diffuse Ängstlichkeit in weiten Teilen der Bevölkerung. Angst war jedoch noch nie ein guter Berater.
Und längst hat „COVID-19“ für viele Entscheidungsträger Züge einer biblischen Heimsuchung angenommen.
Eines steht fest:
Wie wohl kaum ein anderes Ereignis der jüngeren Zeitgeschichte pflügt die Corona-Krise die Gesellschaften um und zieht eine Spur der Verwüstung quer durch die Volkswirtschaften nach sich. Ganze Branchen und Millionen Existenzen stehen vor dem ultimativen Kollaps.
Was für viele einem nicht enden wollenden Albtraum gleichkommt, wollen andere als Chance für einen Neuanfang verstanden wissen: Den sogenannten „Great Reset“. Daher lautet das Motto der nächsten Zusammenkunft der großen Lenker aus Politik und Wirtschaft im Rahmen des Weltwirtschaftsforums (WEF) 2021: „Der große Neustart (The Great Reset)“.
„Wir wollen diskutieren, wie die Welt nach der Pandemie aussehen sollte. Es ist wichtig, als globale Gemeinschaft zusammenzukommen. Bis dahin sollte es nicht nur bessere Tests und Heilmethoden gegen das Virus geben, sondern auch einen Impfstoff“, erklärte der Präsident des WEF-Forums Børge Brende.
Der frühere norwegische Außenminister beschreibt das WEF „als unabhängige und überparteiliche Organisation“, die „eine Plattform für Dialog zwischen Unternehmen und Regierungen selbst in einer immer stärker polarisierten Welt“ gewährleiste.
Vor wenigen Wochen erläuterte WEF-Gründer Klaus Schwab, worum es beim „Großen Neuanfang“ gehen soll: „Die COVID-19-Pandemie“ sieht der 82-Jährige als endgültigen Todesstoß für den Neoliberalismus.
Landläufig wird unter Neoliberalismus ein ungeregelter, ungehemmter Kapitalismus verstanden. Und gerade die Länder, die diese Strategie am stärksten vorangetrieben haben – beispielsweise die USA und Großbritannien – werden von Corona mit am härtesten getroffen. Die Pandemie hat somit einmal mehr gezeigt: Der Neoliberalismus in dieser Form hat ausgedient“, war von Schwab am 21. September in einem Zeit-Interview zu lesen“
Der 1938 in Ravensburg geborene Schwabe verfasste gerade passend zum Thema ein Buch („COVID-19: Der Große Umbruch“). Darin beschreibt er, wie das Virus sowohl die wirtschaftliche als auch die soziale Infrastruktur zerstöre und „welche Veränderungen notwendig sein werden, um eine inklusivere, widerstandsfähigere und nachhaltigere Welt zu schaffen“.
Ein neues Wirtschaftssystem schwebt dem Wirtschaftswissenschaftler jedoch nicht vor. Es gehe vielmehr darum, das bestehende System zu optimieren.
Ich plädiere nicht für eine Systemänderung. Ich plädiere für eine Systemverbesserung“, stellt Schwab klar.
Die „Pandemie nationaler Tragweite“ stellt in dieser Hinsicht jedoch nur das letzte auslösende Moment für die Notwendigkeit eines „Neustarts“ dar. Bereits kurz nach dem offiziellen
Ende Finanzkrise war es demzufolge Zeit für einen Reset. „Rethink, Redesign, Rebuild“ lautete das Motto der WEF-Zusammenkunft 2010.
(…)wir sollten uns fragen, ob wir nicht zum Nullpunkt zurückkehren müssen, um unsere globalen Probleme völlig neu zu überdenken“, so Schwab in einem Interview bereits im Januar 2010.
Neben der Forderung, den Klimaschutz, die Migration sowie die Wasser- und Nahrungsmittelknappheit nicht mehr isoliert zu betrachten, ging es Schwab auch darum, nach Wegen zu suchen, „um die Verhandlungen über eine weitere Liberalisierung des Welthandels, die Doha-Runde, zum Abschluss zu bringen“.
Heute ist es nicht mehr die Finanzkrise, sondern die Coronakrise, die den Neustart erforderlich mache, um systemimmanente Probleme wie Ungleichheit und den Mangel an Nachhaltigkeit endlich anzugehen, doch er warnt:
Selbstverständlich sollten wir unsere grundlegenden Wachstumsquellen nicht aufgeben“, so Schwab Mitte September 2020.
Dazu brauche es etwa „Märkte, um Ressourcen sowie die Produktion von Waren und Dienstleistungen effizient verteilen zu können“.
Wenn wir von Kapitalismus sprechen, dann darf Kapital nicht nur auf die finanziellen Ressourcen beschränkt sein, sondern muss Finanz-, Umwelt-, Sozial- oder Humankapital beinhalten (…). Daher brauchen wir eine fortgeschrittene Art von Kapitalismus, die neben dem Gewinn auch den Beitrag an die Gesellschaft mit einbezieht“, fordert der WEF-Gründer.
Bereits 2016 machte das WEF „acht Vorhersagen für das Jahr 2030“.
Auf Twitter prophezeite man damals:
Sie werden nichts besitzen, und Sie werden glücklich sein. So könnte sich unsere Welt bis 2030 verändern.
2021 wird das Treffen hochrangiger Politiker und Wirtschaftskapitäne, um über den Post-COVID-Kapitalismus zu sprechen, coronabedingt nicht in Davos stattfinden, sondern auf dem Bürgenstock im Kanton Nidwalden und im benachbarten Luzern. Das 550 Millionen teure Bürgenstock Luxusresort wurde 2017 eröffnet. Es „umfasst vier Hotels mit 383 Zimmern und Suiten, ein Gesundheitszentrum, zehn Restaurants und Bars, 76 Residenzen sowie ein 10.000 Quadratmeter großes Spa“, heißt es in der schweizerischen Handelszeitung.
Jedes Land, von den Vereinigten Staaten bis China, muss sich beteiligen, und jede Industrie, von Öl und Gas bis zur Technikbranche, muss transformiert werden. Um es kurz zu sagen, wir brauchen einen ‚Großen Neuanfang‘ (‚Great Reset‘) des Kapitalismus“, forderte Schwab in einem Meinungsartikel im Juni 2020.
Längst hat sich die Botschaft des Großen Neuanfangs global verbreitet. Für dieses Ziel kooperiert etwa das Time Magazin mit dem WEF.
Wir schreiben das Jahr 2023. Die COVID-19-Pandemie hat ein Ende gefunden, und die Weltwirtschaft befindet sich auf dem Weg der Erholung. Wie sind wir hierhergekommen? Wie haben sich unsere Wirtschaft und Gesellschaft entwickelt, um die größte Krise unserer Zeit zu überwinden?“, fragte das Magazin am 22. Oktober als Aufmacher.
Längst werben auch der britische Thronfolger Prince Charles, IWF-Chefin Kristalina Georgiewa und der Generaldirektor der Vereinten Nationen António Guterres für den Großen Neustart. Auch einen dystopischen „Werbefilm“ mit Happy End ließ das Weltwirtschaftsforum produzieren.
Eine Webseite widmet sich ebenfalls sowohl dem Thema des Great Reset als auch den „positiven Umweltveränderungen, die während des Lockdowns stattgefunden haben, als DIE neue Normalität“.
Dort heißt es etwa:
Der durch die Pandemie verursachte Lockdown wird im Jahr 2020 zu einem Rückgang der globalen (Treibhausgas-)Emissionen um 7 Prozent führen. Die UNO erklärt, dass wir bis 2030 jedes Jahr einen Rückgang um 7,6 Prozent brauchen, um eine Klima- und Umweltkatastrophe zu vermeiden. Das bedeutet, dass wir jedes Jahr den gleichen Rückgang aufrechterhalten müssen, als ob wir im Lockdown leben würden.
Doch seit die Botschaft der „einmaligen Gelegenheit“ für einen Neuanfang in der Welt ist, regt sich neuerdings sogar Kritik gegen die Agenda der „vierten industriellen Revolution“. Einer der Kritikpunkte lautet, dass die mächtige WEF-Organisation seit knapp 50 Jahren daran arbeite, die Welt vermeintlich besser zu machen. Die Ergebnisse seien jedoch bestenfalls dürftig.
Es stelle sich die Frage, warum es sich ausgerechnet diesmal lohnen sollte, Vertrauen in die „Menschenfreundlichkeit“ des exklusiven Clubs zu haben.
Kritisiert wird ebenfalls der auch im Rahmen des Großen Neuanfangs propagierte Stakeholder-Kapitalismus.
Ich möchte für ein Modell des Stakeholder-Kapitalismus werben, das ich erstmals vor einem halben Jahrhundert beschrieben habe. Es betrachtet Unternehmen als Treuhänder der Gesellschaft und ist meines Erachtens die beste Antwort auf die heutigen sozialen und ökologischen Herausforderungen“, erklärte Schwab in einem Handelsblatt-Interview im Dezember 2019.
Bei genauerer Betrachtung handele es sich laut den Kritikern der mutmaßlich sozialen Variante des Konzepts jedoch um ein Synonym für „die Regentschaft übernehmen“.
Denn die Staaten kommen in diesen Szenarien der Verantwortungsübernahme durch die Konzerne kaum vor, und wenn, dann als Helfer, die ihre Regulierungsmacht in den Dienst der nachhaltigen (=gewinnträchtigen) Weltverbesserung durch die Konzerne stellen“, schreibt etwa der Wirtschaftsjournalist Norbert Häring.
Quelle: RT-Deutsch
Bild: Unsplash – Nadine Shaabana
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