Die deutsch Justiz und die Sonderbehandlung des Cum-Ex Kanzlers…

Die deutsche Justiz scheint sich seltsamerweise nicht mit der Rolle des Bundeskanzlers im Cum-Ex-Steuerraubzug der Hamburger Warburg-Bank auseinandersetzen zu wollen.

Ein kürzlich aufgetauchter Vermerk der Kölner Staatsanwaltschaft könnte dies erklären:

Laut diesem Vermerk haben die Ermittler bei ihren Untersuchungen möglicherweise nicht so gründlich gearbeitet, wie es bei anderen Fällen üblich gewesen wäre, offenbar aus “Rücksicht auf die Stellung” des Regierungschefs.

Diese Darstellung stammt ausgerechnet von einer Oberstaatsanwältin, die anscheinend in ihrem Eifer zur Aufklärung ausgebremst wurde.

Ein bemerkenswerter Zufall. 

Der sogenannte Rechtsstaat kann mitunter erstaunlich ungerecht sein. Gegen einfache und unliebsame Bürger geht er in der Regel mit voller Härte vor und setzt sein gesamtes Straf- und Disziplinierungsarsenal ein.

Doch bei Verfehlungen der Mächtigen und Reichen schaut er manchmal großzügig darüber hinweg.

Da heißt es dann:

Schwamm drüber!

Der Cum-Ex-Skandal und insbesondere die Rolle von Olaf Scholz (SPD) als mutmaßlicher Unterstützer beim millionenschweren Steuerdiebstahl durch die Hamburger Warburg-Bank sind ein anschauliches Beispiel dafür.

Und wenn die Sache nicht so ernst wäre, könnte man fast darüber lachen: Der Kaiser ist nackt, sein Gesicht ist vor Scham rot, das ganze Volk beschuldigt ihn der Lüge – aber er behauptet immer noch:

“Ich kann mich nicht erinnern.”

Das ist die Verteidigungstaktik eines Kleinkindes, und keine vernünftige Mutter würde so etwas durchgehen lassen. Aber die deutsche Justiz schon.

Warum ist das so, und wie konnte der Bundeskanzler dem dringend notwendigen Interesse der Ermittlungsbehörden entkommen?

Die Stern-Zeitschrift berichtete letzte Woche über ein 20-seitiges Dokument der Kölner Staatsanwaltschaft, das von “Unstimmigkeiten in den Aussagen” und möglicherweise “aktiver Beeinflussung” des damaligen Ersten Bürgermeisters der Stadt Hamburg bei der Nicht-Eintreibung von Steuern im Zusammenhang mit den illegalen Cum-Ex-Geschäften der Warburg-Bank spricht.

Zitat:

“Insbesondere die auffällig häufigen Hinweise auf Gedächtnislücken sowie die durchgehend vorgebrachte Behauptung, es habe trotz des schwerwiegenden und brisanten Steuerfalls bei M.M. Warburg nahezu keine Kommunikation oder Aktenvermerke gegeben, sind wenig nachvollziehbar.”

Gutgläubige Staatsanwälte

Im Jahr 2016 verzichtete die Hamburger Finanzbehörde auf eine Steuernachforderung in Höhe von 47 Millionen Euro gegen die Bank und es gibt viele Anzeichen dafür, dass Scholz dabei als Vermittler zwischen Warburg-Chef Christian Olearius und dem damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD), der heute Bürgermeister von Hamburg ist, fungierte.

Als die Sache publik wurde, bestritt Scholz zunächst vehement, sich seinerzeit mit dem Bankier getroffen zu haben.

Dann tauchten die Tagebücher von Olearius auf, woraufhin er schrittweise einräumte, sich mit ihm getroffen zu haben, sich jedoch angeblich nicht mehr an den Inhalt der Gespräche erinnern konnte.

Die Hamburger Justiz schien das zu überzeugen. Im Dezember 2022 lehnte die Staatsanwaltschaft die Einleitung von Ermittlungen gegen den Kanzler ab, und drei Monate später bestätigte die Generalstaatsanwaltschaft diese Entscheidung.

Dies geschah aufgrund einer Anzeige des renommierten Strafrechtsanwalts Gerhard Strate, der Scholz vorwirft, im Finanzausschuss des Bundestages und im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft widersprüchliche Angaben über sein Erinnerungsvermögen gemacht zu haben.

Was überraschte:

Auch die Kölner Staatsanwaltschaft, insbesondere Deutschlands führende Cum-Ex-Ermittlerin Anne Brorhilker, beendete vor zehn Monaten ihre Untersuchungen in dieser Angelegenheit “mangels Anfangsverdacht” und weil die Auswertung der

zahlreich sichergestellten Postfächer von Mitarbeitern des Finanzamtes und der Finanzbehörde sowie von Herrn Dr. Tschentscher und Herrn Scholz keine Unterlagen zutage förderten, die Rückschlüsse auf etwaige Gesprächsinhalte” zuließen.

Diese Begründung entsprach offenbar nicht der Wahrheit, denn Brorhilker stellt die Dinge heute völlig anders dar.

Finger weg!

Die Oberstaatsanwältin hat besagtes Schreiben verfasst, das dem Stern zugespielt wurde und das vor zwei Monaten als sogenannter Vermerk an Scholz’ Anwalt ging.

Anlass war offenbar ein Versäumnis ihrer Behörde:

Zwar hatte man zum Jahresende entschieden, die Angelegenheit ruhen zu lassen, aber vergessen, die Gründe dafür in schriftlicher Form darzulegen.

Das hat Brorhilker auf ihre ganz spezielle Art nachgeholt:

Statt zu erklären, warum sie gegen Scholz nicht vorgehen will, lieferte sie im Gegenteil reichlich Argumente, weshalb man die Ermittlungen hätte forcieren müssen.

Überdies formuliert sie in aller Klarheit, warum das nicht passierte:

„Mit Rücksicht auf die Stellung“ von Scholz „erschien daher ein weiteres Zuwarten (…) nicht länger vertretbar“.

Ein „Zuwarten“ hätte es wohl vor allem dafür gebraucht, die vorhandenen Beweismittel eingehend zu prüfen.

Das betraf etwa das E-Mail-Postfach der Scholz-Vertrauten Jeanette Schwamberger.

Dieses komplett zu durchforsten, hätte Zeit erfordert, Zeit, die Brorhilker wegen der engen Fristsetzung durch den Kölner Generalstaatsanwalt nicht hatte.

Der Stern deutet den Inhalt des Vermerks jedenfalls so:

„In Köln meinte man, genügend Anhaltspunkte zu haben, um sich die Rolle von Scholz in der Warburg-Affäre noch genauer anzuschauen. Aber das schien trotz aller Indizien gegen den Kanzler nicht erwünscht.“

Das Magazin verweist hier auf die Rolle von Nordrhein-Westfalens Justizminister Benjamin Limbach.

Laut „Insidern“ sei die Ablehnung von Ermittlungen gegen den Kanzler „auch im Sinne“ des Grünen-Politikers gewesen. Düsseldorfer Lieferengpässe

Das passt ins Bild:

Wie die NachDenkSeiten hier und hier berichteten, war Limbach drauf und dran, Brorhilker zu entmachten.

Die Cum-Ex-Hauptabteilung H, der sie bisher in Alleinverantwortung vorsteht, sollte aufgespalten und zur Hälfte in die Zuständigkeit des mit der Materie wenig vertrauten Oberstaatsanwalts Ulrich Stein-Visarius fallen, der aktuell noch im Justizministerium tätig ist.

Wie Scholz steht auch Limbach im Verdacht, ein Lügner zu sein.

Praktisch widerlegt ist so seine Version, die Pläne zur Aufteilung der Cum-Ex-Einheit gingen ohne sein Zutun auf den Chef der Kölner Staatsanwaltschaft zurück.

Dem widersprach sogar die Kölner Generalstaatsanwaltschaft:

Bei der Neuordnung habe es sich „um Strukturüberlegungen des Ministeriums der Justiz des Landes NRW“ gehandelt, ließ diese verlauten.

Der Druck auf Limbach wurde am Ende doch zu groß:

Laut Presseberichten vom Sonntag hat der Minister sein Vorhaben auf Eis gelegt.

Darüber informierte er die rechtspolitischen Sprecher der Fraktionen im Landtag in einem Brief, der der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vorliegt. Limbach hatte sich am Donnerstag in einer Sondersitzung des Rechtsausschusses kritischen Fragen zu seiner Personalpolitik stellen müssen.

Ob die Angelegenheit damit erledigt ist oder ihm selbst womöglich weiteres Ungemacht droht, bleibt abzuwarten.

Fragen wirft nämlich weiterhin seine Rolle als selbsternannter „Aktenlieferant“ für den in der Warburg-Affäre um Aufklärung bemühten Hamburger Untersuchungsausschuss auf.

Die Abgeordneten warten seit über einem Jahr auf Ermittlungsmaterial aus Köln.

Als sie schließlich mit einer Klage drohten, übernahm Limbach demonstrativ das Heft des Handelns, schickte eine Delegation nach Hamburg mit dem Versprechen im Gepäck, die Daten schnellstens zu übermitteln.

Und per Brandrede im Rechtsausschuss des Düsseldorfer Landtags schob er die Schuld für die Hängepartie der Kölner Staatsanwaltschaft in die Schuhe. In einer internen „Stellungnahme“, die in der Kölner Justiz kursiert und aus der Focus Online umfänglich zitierte, schildert Brorhilker die Abläufe anders.

Demnach hatte ihr Haus die fraglichen Daten und Asservate schon zwischen März und Mai dieses Jahres ans Ministerium nach Düsseldorf überstellt, wo diese dann monatelang versauerten.

„Das ist alles merkwürdig“ Hat Limbach die Akten womöglich zurückgehalten und ein Affentheater inszeniert, damit keiner merkt, dass er selbst die Aufklärung im Warburg-Komplex behindert?

In Justizkreisen wundere man sich, schrieb Focus Online:

„Man fragt sich, warum der Minister einen solchen Rauch wegen nichts veranstaltete?“

Den Bundeskanzler vorm Sturz zu bewahren und seiner eigenen Karriere einen Schub zu verpassen, wäre fraglos mehr als „nichts“. Überlegungen in diese Richtung sind natürlich rein spekulativ. Wobei in diesen Tagen doch allerhand zusammenkommt:

Die Cum-Ex-Chefanklägerin sollte demontiert werden, der verantwortliche Minister verstrickt sich in Widersprüche und knickt schließlich ein und aus Hamburg kommt die Ansage, dass die entscheidenden Unterlagen aus Köln immer noch nicht da sind, insbesondere die Inhalte der E-Mail-Postfächer aus dem engsten Umfeld von Scholz.

Dabei sind die wahrscheinlich der Schlüssel, um die „Vergesslichkeit“ des Kanzlers endgültig als Märchen zu entblößen. Wie der Stern schon im August unter Berufung auf E-Mails seiner Büroleiterin Schwamberger berichtet hatte, konnte diese einen Kalendereintrag nicht finden, mit dem ihr Chef zuvor ein Treffen mit Olearius im November 2017 bestätigt hatte. O-Ton:

„Das ist alles merkwürdig, aber wir sind alle Kalender durch.“

Christian Leye von der Bundestagsfraktion Die Linke sowie sein früherer Fraktionskollege Fabio De Masi haben in diesem Zusammenhang mit einer Kleinen Anfrage bei der Bundesregierung nachgebohrt. Leye äußerte sich dazu gegenüber den NachDenkSeiten:

„Scholz ließ im Februar 2020 über seinen Sprecher gegenüber der Öffentlichkeit einen Kalendereintrag vortäuschen, um ein Treffen mit Warburg-Gesellschafter Olearius zu bestätigen.“

Den Eintrag gab es damals aber gar nicht mehr oder hatte es mutmaßlich nie gegeben. Scholz jedenfalls musste dessen Fehlen vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss bestätigen. „Damit ist auch seine Erinnerungslücke widerlegt, denn ich kann einen Termin nur dann ohne eine Aufzeichnung bestätigen, wenn ich mich erinnere“, bemerkte Leye. Immer wieder Wissenslücken Ein zweiter Punkt der Anfrage betrifft frühere Angaben des Hamburger Senats, wonach dieser Ende 2019 beim damaligen Finanzminister zur Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage der Hamburger Linksfraktion wegen Treffen mit Olearius nachgefragt hatte. Das Scholz-Ministerium antwortete darauf nicht. Trotzdem behauptete Sprecher Steffen Hebestreit später, man wisse nicht, warum der Senat die Treffen damals nicht eingeräumt hatte. Auch darin sehen Leye und De Masi „eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit“. Für Leye ist die Sache klar:

„Die Bundesregierung kann die Widersprüche von Olaf Scholz nicht widerlegen. Wir haben einen Bundeskanzler, der die Öffentlichkeit nachweislich belogen hat.“

Die Regierung kontert wie üblich mit Wissenslücken.

„Vorgänge im Zusammenhang mit einem Kalendereintrag zu diesem Treffen sind im Einzelnen nicht mehr rekonstruierbar“, heißt es in ihrer Antwort auf die Anfrage.

Auf Nachfragen durch Florian Warweg in der Bundespressekonferenz beschied der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner am vergangenen Donnerstag:

„Ich äußere mich nicht zu Themen außerhalb der Zuständigkeit des Bundeskanzlers.“

Was Pinocchio wohl dazu sagen würde?

Quelle & Podcast : Ein Artikel von Ralf Wurzbacher für die Nachdenkseiten  

Bilder: Fake News von Bundeskanzler Radio Qfm Edition

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