Das Ende der Weltenbummelei

Ein Beitrag von Eric Angerer – Text von Rubikon.news

Auslandsreisen für alle sind ein Phänomen der vergangenen 70 Jahre — der Great Reset könnte den Tourismus wieder zum Privileg einer kleinen Minderheit machen.

Im Jahr 2019 wurden 1,46 Milliarden Auslandsreisen gezählt.

Der Tourismus zählte damit, neben der Auto- und Mineralölindustrie, zu den umsatzstärksten Wirtschaftssektoren. Die Corona-„Pandemie“ führte jedoch diesbezüglich zu einem massiven Einbruch.

Touristische Mobilität befindet sich im Visier der globalistischen Strategen und ihres Great Reset. Wir beschäftigen uns hier mit der historischen Entwicklung und ökonomischen Bedeutung des Tourismus sowie seinen sozialen, kulturellen und ökologischen Folgen. Darüber hinaus diskutieren wir die Perspektiven des Tourismus angesichts von Coronaregime, Energiepreissteigerungen und einer Art Re-Feudalisierung der Gesellschaft.

Massenhafter Auslandstourismus ist weitgehend ein Phänomen der zurückliegenden 70 Jahre. Zuvor waren Reisen in andere Länder — wenn man von großen Kriegen absieht — auf eine kleine Minderheit beziehungsweise religiöse und Handelsunternehmungen beschränkt.

Frühe Formen des „Tourismus“

Im Alten Ägypten gab es Wallfahrten zu den Tempeln von Gottheiten, im Antiken Griechenland Reisen zu den Olympischen Spielen. Im europäischen Mittelalter entwickelte sich eine rege Wallfahrtsreisetätigkeit. Die christlichen Pilger waren dabei meist auf Kost und Logis in christlichen Herbergen angewiesen. Entlang der Wallfahrtsrouten entfalteten sich mit der Zeit Handelszentren. Im islamischen Raum entstand die Hadsch, die Pilgerreise nach Mekka, in Indien die Reisen von hinduistischen Gläubigen zum rituellen Bad im Ganges.

In frühen Zeiten waren Reisen in ferne Kulturräume — von den Phöniziern über die Araber bis zu den Wikingern — meist Handelsunternehmungen, die von Raub und Krieg nur unscharf getrennt werden können.

Mit dem Humanismus verbreitete sich im 15. Jahrhundert unter Gelehrten das Phänomen der Studienreise nach Italien. Ab dem 16. Jahrhundert schickten europäische Adelige ihre Söhne zu sogenannten Kavaliersreisen ins Ausland, vor allem nach Italien, wo sie Führungskompetenz und höfische Lebensformen kennenlernen sollten. Während die jungen Adeligen in der Realität das Geld oft in Weinkellern und Bordellen verprassten, entstanden entlang der Reiserouten Herbergen und Gasthöfe. Parallel dazu war ab dem 14. Jahrhundert der Brauch entstanden, dass Handwerksgesellen in andere Länder wanderten, um verschiedenste Techniken zu erlernen.

In derselben Phase nahmen Forschungs- und Entdeckungsreisen zu, die in engem Zusammenhang mit den Interessen des europäischen Kolonialismus standen. Verbunden war damit auch ein Aufstieg von Handelsreisen durch Portugiesen, Niederländer und Engländer. Mit der Zeit der Aufklärung begannen im 18. Jahrhundert die „Bildungsreisen“ des Bürgertums, besonders zu historischen Städten in Griechenland und Italien.

In der Übergangsphase zum 19. Jahrhundert entstand dann der sogenannte Alpinismus, bei dem Motive wie Naturerfahrung, körperliche Herausforderung und geistige Erholung im Vordergrund standen. Es wurden Alpenvereine gegründet, in der Schweiz und in Österreich entwickelte sich ein bescheidener Fremdenverkehr, wobei die lokale Bevölkerung dem „sinnlosen Herumgehen“ der Herrschaften aus der Oberschicht oft verständnislos gegenüber stand. Auch mediterrane Küstengebiete wurden von europäischen Adeligen und Großbürgern nun als Reiseziele entdeckt.

Von der „Sommerfrische“ zum Massentourismus

Mit der Entwicklung der Dampfschifffahrt und der Eisenbahn konnte sich im 19. Jahrhundert auch ein Teil des Kleinbürgertums am Reisen beteiligen. Damit entstand zunehmend ein Geschäftszweig. 1827 gründete Karl Baedeker den ersten deutschen Verlag für Reisehandbücher. 1841 organisierte Thomas Cook aus Leicester für 570 Personen die vermutlich erste touristische Gruppenreise im modernen Sinn. 1863 wurde in Breslau das erste Reisebüro Deutschlands eröffnet. Aus Jugendreisen im 19. Jahrhundert entstand in Deutschland um 1900 schließlich die „Wandervogel“-Bewegung, durch die erstmals „Mädchenreisen“ gesellschaftsfähig wurden.

Dennoch war bis zum Ersten Weltkrieg das Reisen ein Privileg der Oberschicht, also des Adels, der Bourgeoisie und der gehobenen Teile des Kleinbürgertums.

Handwerker, Bauern und Lohnabhängige waren davon weitgehend ausgeschlossen. Während die herrschende Klasse oftmals die Sommermonate in ihren Villen am Meer oder in den Alpen verbrachte, blieben für die Arbeiter gerade mal sonntägliche Ausflüge ins Umland der Städte oder Industriezentren.

Aus Angst vor einer sozialistischen Revolution machte die herrschende Klasse nach dem Ersten Weltkrieg einige Zugeständnisse an die Lohnabhängigen; in vielen Ländern wurde die Arbeitszeit verkürzt, ein Urlaub gesetzlich garantiert. In dieser neu gewonnenen, frei verfügbaren Zeit konnte sich die Ausflugstätigkeit der Proletarier ausweiten. Entsprechende Freizeitorganisationen, die mit der Arbeiterbewegung verbunden waren, erlebten einen Aufschwung.

Auslandsreisen waren für die Arbeiter weiterhin die absolute Ausnahme, mit der Weltwirtschaftskrise ab 1929 verschlechterten sich auch diesbezüglich die Möglichkeiten erneut. Das „Kraft-durch-Freude“-Reiseprogramm der Nazis, das der Einbindung von Teilen der Arbeiterschaft in das Regime diente, fand mit Kriegsbeginn 1939 ein jähes Ende. Von nun an traten junge deutsche Männer jahrelang in halb Europa als Besatzer auf und machten so berüchtigte Auslandserfahrungen.

Ein wirklicher Aufschwung des Massentourismus, an dem tatsächlich in den imperialistischen Zentren ein Großteil der Bevölkerung teilhaben konnte, fand ab 1950 statt — getragen vom langen Boom der kapitalistischen Weltwirtschaft, unterstützt vom sich immer mehr ausbreitenden Individualverkehr mit dem Pkw.

Hatten im Jahr 1950 21 Prozent der deutschen Bevölkerung eine Reise unternommen, waren es 1972 bereits 49 Prozent. 1950 gab es weltweit 25 Millionen Auslandsreisen, im Jahr 2000 waren es schließlich 680 Millionen. Immer mehr Weltregionen wurden vom Tourismus erfasst: 1950 fanden 95 Prozent aller Auslandsreisen in Europa oder Amerika statt, im Jahr 2000 waren es nur noch 76 Prozent.

Wirtschaftsmacht Tourismus

Geschäftsreisende beziehungsweise Manager sind laut Definition der Welttourismusorganisation (UNWTO) in die Tourismusstatistiken inkludiert, Saisonarbeiter, die keine Hotels oder feine Restaurants frequentieren, hingegen ausgeschlossen, Pendler sowieso.

Der internationale Tourismus hat — nach Angaben der UNWTO — im Jahr 2019 insgesamt 1.500 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet; das sind etwa 30 Prozent der Exporte von Dienstleistungen. Bereits 2004 waren weltweit mehr als 100 Millionen Menschen im Tourismus beschäftigt, seitdem ist die Zahl sicherlich weiter gestiegen. Allein in Deutschland arbeiteten 2019 etwa 2,4 Millionen Menschen im Tourismus. Die Mehrheit der im Tourismus Beschäftigten sind Frauen, in Österreich beispielsweise mehr als 60 Prozent.

Von den 1,46 Milliarden Auslandsreisen im Jahr 2019 gingen 742 Millionen nach Europa, 362 Millionen nach Asien/Pazifik und 220 Millionen nach Amerika. Innerhalb Europas gibt es wiederum klare touristische Schwerpunktgebiete: Nach den Zahlen von 2019 stand Frankreich mit 90 Millionen Auslandstouristen an der Spitze der Reiseziele, gefolgt von Spanien, den USA, China und Italien. Deutschland lag mit 39,4 Millionen ausländischen Touristen an 9. Stelle. Nach Österreich kamen 2019 31,9 Millionen Besucher aus dem Ausland.

Das Mittelmeer ist weiterhin die Haupttourismusregion der Welt. Der Tourismus macht in Ländern wie Spanien und noch mehr in Griechenland einen großen Teil der Deviseneinkünfte aus. Dabei fließt die Hälfte bis zwei Drittel des Einkommens durch die internationalen Touristen im Mittelmeerraum an Reisegroßveranstalter in Nordeuropa.

Chinesen haben im grenzüberschreitenden Tourismus 2019 etwa 255 Milliarden Dollar ausgegeben, US-Amerikaner 152 Milliarden, Deutsche 83 Milliarden. Auch wenn die Tourismusindustrie zu einer Branche mit vielen Millionen Kunden geworden ist und sich auch erhebliche Teile der Arbeiterklasse aus den reichen kapitalistischen Ländern am Reisen beteiligen können oder zumindest konnten, so darf nicht übersehen werden, dass die deutliche Mehrheit der Lohnabhängigen in den halbkolonialen Ländern und die ärmeren Schichten der Arbeiterklasse in den imperialistischen Zentren, weiterhin von Auslandsreisen ausgeschlossen sind.

Touristisches Verhalten

Viele Lohnabhängige wollen sich in ihrem Urlaub, oft eine möglichst günstige Pauschalreise irgendwo am Meer, einfach nur entmüden, entspannen, sich erholen und neue Kraft sammeln. Angesichts der körperlichen und psychischen Belastungen der Arbeit und des alltäglichen Überlebenskampfes unter kapitalistischen Verhältnissen ist das nur zu verständlich. Und außerdem ist die Regeneration der Arbeitskraft, so sie qualifiziert und nachgefragt ist, natürlich auch im Interesse des Systems.

Dass sich auch unter nicht wenigen Lohnabhängigen, wenn sie auf Urlaub sind, eine Haltung nach dem Motto „Jetzt lass‘ ich mich mal bedienen“ entwickelt und auch sie, wie sie es vom (Klein-)Bürgertum gelernt haben, die Beschäftigten in Hotels und Restaurants schikanieren, ist nachvollziehbar, aber deshalb nicht besser.

Eine andere abstoßende Art touristischen Verhaltens ist das kollektive „Die-Sau-rauslassen“ in touristischen Hotspots a la Ballermann. Die monatelange Unterdrückung in Betrieb und Schule, die von Disziplinierung, Funktionieren nach von oben vorgegebenen Regeln und von Kuschen geprägt ist, schlägt dann in ein zweiwöchiges „Abreagieren“ um.

„Die Sau“ wird oft tatsächlich in dem Sinne „rausgelassen“, dass verschiedenste üble Verhaltensweisen, die zum politischen Herrschaftssystem des Kapitalismus gehören, auf skurrile Art reproduziert werden, insbesondere Sexismus und Konkurrenz. Kombiniert ist dieses immer mehr kulturindustriell und medial standardisierte, dümmlich-kreischende „Partymachen“ in der Regel mit grölendem Alkoholismus.

Soziale Folgen des Tourismus

Zweifellos schafft der Tourismus Arbeitsplätze, teilweise auch in von Abwanderung betroffenen Gebieten, beispielsweise in den Alpen oder auf den griechischen Inseln. Er bringt auch eine Verbesserung der Infrastruktur wie etwa des Straßennetzes, die auch Einheimischen zugutekommt. Wirklich profitieren aber oft nur wenige, nämlich Hoteliers, Tourismusunternehmen und diejenigen, die sich touristische Investitionen leisten können. In der Regel werden dadurch die in den Tourismusregionen bestehenden Klassenstrukturen reproduziert, adaptiert und oft auch verstärkt.

In den Tourismusgebieten entsteht oft ein soziales Gefälle zwischen denjenigen, die Zugang zu den touristischen Einkünften haben, und den anderen. Das gilt besonders für wirtschaftlich rückständigere Länder, wo der Zugang zu den Dollars, den Euro- oder Pfundnoten entscheidend ist. Die mit dem Tourismus steigenden Preise und die besseren Verdienstmöglichkeiten in dieser Branche führen oft auch dazu, dass die Landwirtschaft in einer Region aufgegeben oder zur Folklore minimiert wird. In Prag beispielsweise haben die Hotels, Restaurants, Cafés und Bars, die für die rasante touristische Entwicklung der Innenstadt nötig waren, zu einer Verdrängung der früheren Bewohner geführt; Mietshäuser wurden aufgekauft und umgebaut, das Wohnen im Zentrum nicht mehr leistbar.

Gleichzeitig sind die — stark von Frauen ausgeführten — touristischen Jobs oft durch miserable Arbeitsbedingungen gekennzeichnet: schlechte Bezahlung, ungeregelte oder unkontrollierte Arbeitszeiten, extremer Arbeitsstress in der Tourismussaison und Arbeitslosigkeit außerhalb der Saison. Touristische Saisonarbeit bedeutet oft eine Zerstörung von sozialen Strukturen und persönlichen Beziehungen: Die griechische Kellnerin auf einer Tourismusinsel, die von April an monatelang einen 12-bis-16-Stunden-Arbeitstag erdulden muss und darauf wartet, bis sie Ende Oktober endlich wieder zurück nach Athen zu Familie und Freunden kann, ist keine Seltenheit.

Kultur und Umwelt

Wenn bei so mancher Tourismuskritik der Verlust von „ursprünglicher Kultur und Tradition“ beklagt wird, so ist das eine zweischneidige Sache. Die traditionellen Strukturen, die durch den Tourismus partiell aufgebrochen werden, sind oft zu guten Teilen reaktionär; ihnen muss kaum eine Träne nachgeweint werden. Allerdings werden sie durch den Tourismus in der Regel von einer Kommerzkultur ersetzt, wo die Gier nach dem Geld der Touristen, die schleimige Anpassung an ihre Wünsche und das möglichst geschickte Ausnutzen „der Gäste“ ganze Ortschaften prägen. In vielen Fällen kommt es letztlich zu ungustiösen Vermischungen einer adaptierten Form der reaktionären Traditionen mit dem Geschäftemachergeist der Tourismusindustrie.

Die touristische Erschließung von Regionen führt in der Regel auch zu ökologischen Zerstörungen durch Straßen, Verbauung, Versiegelung der Böden, Verschmutzung von Landschaften, Flüssen und Meer.

Durch den Tourismus entstehen überproportional große Müllmengen, die in vielen Gebieten nicht entsprechend entsorgt werden (können). Durch den Tourismus kommt es auch zu einer Zunahme des Automobil- und Flugverkehrs und damit der Luftverschmutzung.

In vielen Küstengebieten, in denen ohnehin schon Wasserknappheit herrschte und die für „sonnenhungrige“ Touristen erschlossen wurden, haben sich die Probleme potenziert: Die Wasserreserven werden für die Duschen und Pools der touristischen Unterkünfte verwendet, im extremeren Fall auch noch für die Bewässerung von Golfplätzen und Rasenflächen von Hotels. Gleichzeitig geht etwa in manchen Regionen Spaniens oder der Türkei der lokalen Bevölkerung und der Landwirtschaft das Wasser aus. Dazu kommt, dass durch die Übernutzung der Grundwasservorräte der Grundwasserspiegel teilweise absinkt und Brunnen austrocknen, wodurch die ganze Wassermisere weiter verschärft wird.

Alternativtourismus?

Von den durchkommerzialisierten Tourismuszonen haben immer mehr Leute, besonders kritischere, jüngere, studentische Milieus, genug. Sie wollen auch reisen, es aber anders machen. Sie wollen nicht in Touristengettos bleiben, sondern suchen den Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung und wollen deren „echte Kultur“ kennenlernen. Sie sehen sich stolz als „Travellers“ und wollen mit den verachteten Massentouristen nichts zu tun haben. Aber auch ein erheblicher Teil der herkömmlichen Touristen macht sich, ausgehend vom Urlaubsapartment, auf die Suche nach der einsamen Bucht, wo sonst „keine Touristen“ sind, oder nach der kleinen Trattoria, in der vermeintlich „nur Einheimische“ essen.

Diese Haltung hat sympathische Elemente: nicht auf lebende Einkommensquellen der Tourismusindustrie reduziert werden wollen oder das Interesse, Menschen anderer Länder und Nationen kennenzulernen. Allerdings ist die Lust der Individualtouristen auf das ganz „Authentische“ in der jeweiligen „exotischen“ Kultur oft auch mit einer verklärenden oder karikaturhaften Sicht verbunden.

Dazu kommt oftmals eine bornierte Arroganz der meist studentischen oder kleinbürgerlichen „Travellers“ gegenüber den „dummen“ proletarischen Touristen in den Massenunterkünften. Sie sehen nicht, dass Leute mit wenig frei verfügbarer Zeit, mit Kindern, erschöpft von stupider Arbeit und mit wenig Geld, oft kaum andere Möglichkeiten haben als günstige Pauschalangebote.

Sie haben kein Verständnis dafür, dass Leute, die das ganze Jahr in der Fabrik gestanden oder an der Supermarktkasse gesessen sind, einfach nur mal eine oder zwei Wochen nichts tun wollen und keine Energie für irgendwelche kulturellen Expeditionen aufbringen — ganz zu schweigen von der Zeit, sich individuell in abgelegene, touristisch unerschlossene Gebiete durchzuschlagen. So sehr der Massentourismus unter kapitalistischen Vorzeichen ausgesprochen degenerierte soziale und kulturelle Formen hervorbringt, so sehr haben erhebliche Teile der Kritik daran Elemente einer elitären Klassenkritik.

Individualistische Wegbereiter

Der Individualtourismus ist aber auch weniger das Gegenmodell zum „Massentourismus“, sondern vielmehr dessen Wegbereiter. Neue, bisher vom Tourismus nicht erfasste Gebiete werden in der Regel erst mal von alternativen „Travellers“ besucht, der „Geheimtipp“ zieht dann allmählich immer mehr Alternativtouristen an, es entstehen die ersten Ansätze einer rudimentären touristischen Infrastruktur, in alternativen Reiseführern wird über die idyllischen Plätze und einsamen Buchten berichtet. Mit der Zeit werden die neuen touristischen Pfade immer mehr ausgetreten, und es folgt die touristische Erschließung durch Reiseveranstalter.

Kuba, das in den 1990er-Jahren ökonomisch mit dem Rücken zur Wand stand, die Tourismusdevisen dringend brauchte und wo der Tourismus ein wichtiges Element der kapitalistischen Penetration der bürokratischen Planwirtschaft war, versuchte eine Zeit lang, den Tourismus weitgehend auf einige separierte Zonen, ein paar Strände und die dazugehörigen Hotelanlagen, zu beschränken.

Dahinter stand auch die Überlegung, die touristisch-kapitalistische Durchdringung des Landes, die man mit den umherreisenden und mit ihren Dollars winkenden Individualtouristen verband, unter Kontrolle zu halten. Diese Überlegung hatte durchaus etwas für sich, allerdings war diese Politik angesichts der Wünsche der Touristen und der lokalen Bevölkerung, des Bedarfes an Devisen und der gegenüber der kapitalistischen Restauration widersprüchlichen kubanischen Bürokratie nicht durchzuhalten.

Erweiterte Kapazitäten

In den vergangenen 30 Jahren wurde der Umstieg auf Tourismus vielerorts als tolle Alternative verkauft. So genannte Experten von Regierungen und Wirtschaftsverbänden haben das österreichischen Bergbauern ebenso empfohlen wie ehemaligen Industrieorten oder Küstenbewohnern in Bali. Die touristischen Kapazitäten sind in den zurückliegenden Jahrzehnten weltweit dementsprechend massiv angewachsen.

Gleichzeitig wurden seit den 1980er-Jahren de facto in allen ökonomisch entwickelten Staaten, wo breitere Teile der Lohnabhängigen in den Genuss von sozialen Errungenschaften kamen und mit entsprechenden Lohnhöhen touristisch aktiv werden konnten, Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse gefahren. Daraus entwickelte sich tendenziell eine Schere zwischen wachsenden touristischen Kapazitäten und den sinkenden touristischen Möglichkeiten der Masse der Lohnabhängigen. Dieser Tendenz konnte in den vergangenen Jahrzehnten durch andere Entwicklungen aber entgegengewirkt werden:

  • Erstens wurden billigere touristische Destinationen ausgebaut, die sich die Lohnabhängigen in den imperialistischen Zentren noch eher leisten können; mitteleuropäische Arbeiter fliegen dann nicht mehr nach Italien oder Spanien, sondern ins billigere Ägypten oder die Türkei.
  • Zweitens gelangen der Tourismusindustrie auch noch Ausweitungen bei den touristischen Aktivitäten der Mittelschichten, die von den Boomphasen des neoliberalen Kapitalismus profitierten.
  • Drittens haben in den vergangenen Jahren auch Russland, China und Indien zu den Wachstumsraten des internationalen Tourismus beigetragen; auch wenn in diesen Ländern nur eine kleine privilegierte Schicht relevante touristische Aktivitäten entfalten kann, so ist das in absoluten Zahlen dennoch eine nennenswerte Anzahl.
  • Viertens hat die steigende Lebenserwartung bei vergleichsweise noch niedrigem Rentenantrittsalter in einigen imperialistischen Ländern zu einem Segment an reiselustigen Rentnern geführt, die über genügend finanzielle Mittel und auch Zeit verfügen.

Weltwirtschaft und „Pandemie“

Dementsprechend ist die Zahl der Auslandsreisen von 682 Millionen im Jahr 2000 auf 930 Millionen im Jahr 2008 gestiegen. 2009 gab es dann in Folge der Weltwirtschaftskrise einen vorübergehenden Einbruch auf 892 Millionen Auslandsreisen, danach aber wieder ein kontinuierliches Wachstum bis zu den erwähnten 1,46 Milliarden im Jahr 2019.

Den wirklichen Einbruch für den Tourismus brachte dann aber die Ausrufung der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020. Die Zahl der Auslandsreisen ging im Jahr 2020 auf 381 Millionen zurück, im Jahr 2021 auf 351 Millionen. Das ist nur noch ein Viertel von 2019 und — trotz erheblich gestiegener Weltbevölkerung — eine Anzahl wie Mitte der 1980er-Jahre. Die Deutschen haben im Jahr 2020 nur noch 38,5 Milliarden Dollar für Auslandsreisen ausgegeben, weniger als die Hälfte von 2019.

Es ist durchaus möglich, dass sich die Reisebranche davon vorübergehend und teilweise erholt. „Pandemiebedingte“ Maßnahmen werden zeitweise aufgehoben, „Vollimmunisierte“ dürfen schon seit einiger Zeit wieder in den Urlaub fliegen. Der Druck der Tourismuswirtschaft auf Regierungen dürfte auch stark sein. Gleichzeitig werden aber die Folgen der Coronaregimes und des Ukrainekonfliktes für die Weltwirtschaft und auch die Reisebranche erheblich sein.

Die Coronaregimes haben zu weiterer Kapitalkonzentration geführt und viele kleinere und mittlere Betriebe an den Abgrund geführt. Firmenpleiten, Arbeitsplatzverluste oder Einkommensverluste durch Kurzarbeit haben bei vielen Menschen die finanziellen Reserven reduziert. Dazu kommt nun eine immer stärkere Inflation, angetrieben durch die Staatsausgaben der Coronaregimes einerseits und durch steigende Energiepreise in Folge des Krieges in der Ukraine. Dabei sind Letztere bisher noch nicht auf einen tatsächlichen Mangel an Öl und Gas zurückzuführen, sondern auf Spekulation darauf. Die Inflation kann noch weiter an Fahrt gewinnen, damit die „kleinen Leute“ de facto enteignen und ihre Konsummöglichkeiten einschränken.

Konsequenzen für den Tourismus

Einkommensverluste, Verarmung und allgemeine Inflation würden sich auch auf die Möglichkeit zu reisen auswirken, zumal auch die Kosten für Flüge, Autofahrten et cetera. explodieren würden. Schon während der Corona-Regimes gab es einen Trend, der sich nun verstärken könnte: Billigere und nähere Destinationen, unter anderem im eigenen Land, werden verstärkt nachgefragt. Die Aufenthaltsdauer wird verkürzt und weniger Geld ausgegeben. Es werden, statt anderer Reisen, verstärkt Verwandte und Freunde besucht.

Das muss für die jahrzehntelang aufgeblasenen touristischen Kapazitäten tendenziell Probleme schaffen. Besonders aus Europa, wo die Wirtschaft durch die antirussischen Sanktionen besonders ruiniert wird, werden potenzielle Reisende wegfallen. Ob das durch wachsende Mittelschichten in China, Indien et cetera. ausgeglichen werden kann oder ob auch dort die Weltwirtschaftskrise massiver zuschlägt, wird sich zeigen.

Intensiviert werden dürfte die Orientierung auf sogenannten Qualitätstourismus, der schon länger von etlichen Tourismus-„Experten“ empfohlen wird. Begleitet wird er oft von schönen Sprüchen über „Nachhaltigkeit“ und einen „grünen Tourismus“. Die grünen Kleinbürger aus den teuren Innenstädten, die mit großem moralischem Gestus auf ein Auto verzichten, fliegen in der Realität viel öfter auf andere Kontinente zu ihrem „Qualitätstourismus“ und verursachen mit diesen Flugreisen weit mehr Spritverbrauch als die von ihnen abgewerteten Arbeiter, die tagtäglich mit dem Auto lange Arbeitswege überwinden müssen.

Die Phrase vom „Qualitätstourismus“ bedeutet real die Abwendung vom Massentourismus und dem ohnehin ungeliebten Pöbel und eine Ausrichtung auf die zahlungskräftigen Touristen. Ausgebaut werden sollen Luxushotels, Golfplätze et cetera. Das ist für Tourismuskapitalisten nur logisch, weil die Reichen auch trotz Krise immer noch genug Geld für Luxusreisen haben.

Dennoch kann sich das nur für einige, nicht aber für die Tourismusbranche insgesamt rentieren, denn die Reichen sind zu wenige und können die Verluste durch ausfallende Reisende aus der Arbeiterklasse oder den Mittelschichten nicht ausgleichen. Wenn sich die Krise weiter vertieft, wird auch die Tourismusindustrie von erheblichen Einbrüchen betroffen sein — verbunden mit Arbeitsplatzverlusten für Hunderttausende Lohnabhängige und massiven Problemen für ganze Regionen.

Tourismus, Great Reset und Neofeudalismus

Den Oligarchen des globalistischen Kapitalismus, ihren Netzwerken wie dem Weltwirtschaftsforum WEF und ihrer politischen Speerspitze, den Grünen, ist diese Entwicklung wohl durchaus recht. Der Great Reset von Klaus Schwab sieht nicht nur einen völlige Umkrempelung der Ökonomie im Sinne einer „vierten industriellen Revolution“ und letztliche eine Reduzierung der Bevölkerung vor, sondern auch eine massive Einschränkung der Mobilität der verbleibenden Teile. Die Coronahysterie und steigende Energiepreise sind dafür herzlich willkommen. Schwab hat ja auch explizit seine Begeisterung dafür ausgedrückt, dass die Lockdowns dazu geführt haben, dass die Menschen zu Hause blieben und soziale Kontakte digitalisiert wurden.

Von einigen kritischen Kommentatoren wurde der Begriff „Neofeudalismus“ eingeführt, um das anvisierte gesellschaftliche System des Great Reset theoretisch einzuordnen. Das ist meist so gemeint, dass in diesem Konzept der allergrößte Teil der Bevölkerung in Armut, Abhängigkeit und unter Kontrolle der Herrschenden lebt, ihnen das Allernötigste zum Überleben gewährt wird, sie bei Wohlverhalten unter einem zweifelhaften „Schutz“ stehen, wie ihn einst die Feudalherren auch versprochen hatten, und sie den Entscheidungen dieser Herren rechtlos ausgeliefert sind.

Mit Bezug auf Mobilität und Tourismus könnte man eine weitere Ähnlichkeit hinzufügen:

Im Feudalismus waren die Leibeigenen „an die Scholle“ gebunden, durften das Gebiet des Grundherren nicht verlassen und waren so in ihrer Mobilität weitgehend eingeschränkt. Das Regime des Great Reset will solche Einschränkungen über Klimahysterie, Coronarepressalien und hohe Energiekosten durchsetzen.

Allerdings gibt es neben den Parallelen auch Unterschiede zum klassischen Feudalismus. Letzterer stützte sich auf eine andere, eine regional weitgehende autarke agrarische Produktionsweise und personalisierte Abhängigkeiten, und nicht auf eine hochtechnologisierte, globale kapitalistische Wirtschaft und anonymisierte Beziehungen zwischen den herrschenden Netzwerken der Oligarchen und den von ihnen abhängigen Cyborgs.

Mobilität und Freiheit

Auch wenn man den bisherigen Tourismusbetrieb nicht idealisiert, sollte man dem aktuellen Projekt der herrschenden Globalisten trotzdem ablehnend gegenüberstehen. Die Oligarchen und ihre Ideologen wollen weiter mit ihren Privatjets herumfliegen und gleichzeitig die einfachen Menschen in ihrer Bewegung einschränken. Das ist inakzeptabel. Auch wenn man, wie der Autor dieses Textes, persönlich Fernreisen nicht mag und lieber in den Alpen oder maximal an griechischen Küsten unterwegs ist, muss man darauf beharren, dass jeder Mensch das für sich selbst entscheiden kann — und nicht von Klaus Schwab, Bill Gates oder Justin Trudeau aufgezwungen bekommt.

Für viele Menschen bedeutet Mobilität ein Gefühl von Freiheit, das Gefühl, nirgends festgebunden zu sein. Das muss sich nicht in Flug- oder Autoreisen ausdrücken, kann es aber auch. Dennoch sollten systemkritische Menschen nicht einfach den bisherigen Status quo verteidigen, sondern den Plänen der Herrschenden eigene Vorstellungen gegenüberstellen, wie ein Neustart in eine andere Welt aussehen kann, auch im Bereich des Tourismus.

Die Voraussetzung für jede positive Veränderung in jedem Bereich ist die Enteignung der großen Banken und Konzerne. Nur so kann die Macht der Oligarchen und der von ihnen getragenen politischen Strukturen gebrochen werden. Erst dann können die Völker dieser Welt eine politische Kultur der direkten Demokratie entwickeln, die frei von der Manipulation und der Korrumpierung durch das Großkapital ist.

In einer Gesellschaft, die von der Profitmaximierung im Interesse einer kleinen Minderheit befreit ist, können Arbeitsprozesse anders gestaltet werden und es in der Tendenz eine Aufhebung der Trennung zwischen Arbeit und Freizeit geben. Es könnte die Arbeitszeit massiv verkürzt werden und die Arbeit selbst könnte einen großen Teil ihres äußerlichen Zwangscharakters verlieren und zu einer selbstbestimmten Tätigkeit werden und mit der Freizeit verschwimmen.

Anderer Tourismus

Das würde auch Auswirkungen auf den Tourismus haben. Das Bedürfnis, sich einige Wochen im Jahr von der physischen und psychischen Erschöpfung durch den Moloch der Arbeit unter kapitalistischen Verhältnissen zu erholen, würde letztlich verschwinden. Sehr wohl aber würden die Menschen weiterhin ein Bedürfnis haben, andere Länder und Kulturen kennenzulernen.

Dieses Bedürfnis könnte allerdings mit dem heutigen Tourismus als eigenem Wirtschaftszweig immer weniger zu tun haben. Die Menschen würden wohl sich nicht mehr in spezielle touristische Anlagen einpferchen. Unter nicht-kapitalistischen Verhältnissen könnten sie über mehr zeitliche Ressourcen verfügen und, wenn sie Lust haben, immer wieder kürzer oder länger in anderen Ländern sein und dort mit den Einheimischen mitleben. Reisen stünde vermutlich nicht unter dem massiven zeitlichen Druck, wie ihn Lohnabhängige mit ihrem sehr begrenzten Urlaub im Kapitalismus haben, und wäre nichts Separiertes, sondern in die jeweiligen gesellschaftlichen Prozesse integriert.

Ein gewisses Vorgefühl einer solchen Entwicklung kann es auch bereits in der heutigen Gesellschaft geben. Wenn wir Verwandte oder Freunde in anderen Regionen oder Ländern haben und diese besuchen, haben wir andere Chancen, Einblicke in das dortige reale Leben zu bekommen, als wenn wir in irgendeiner Bettenburg absteigen. Allerdings sind diese Chancen sehr oft dadurch konterkariert, dass wir wenig Urlaubszeit zur Verfügung und aufgrund des Arbeitsalltages oft das Bedürfnis nach „reiner Erholung“ haben, dass das Unterkommen bei Verwandten oder Freunden — unter den heutigen Wohnformen und der Größe der Wohnungen der meisten von uns — mit dem Problem zu kämpfen hat, dass Freiraum und Intimsphäre sowohl der Besucher als auch der Besuchten eingeschränkt sein können.

Tourismus, wie wir ihn heute kennen, ist ein Produkt des Kapitalismus und würde in einer anderen Gesellschaft vermutlich der Vergangenheit angehören. Bleiben wird das Interesse vieler Menschen am Unbekannten, Fremden, Neuen.

Der heutige Fremdenverkehr und der Tourismus befriedigen diese Bedürfnisse auf eine verkrüppelte, auf wenige Tage oder Wochen im Jahr zusammengedrängte Weise. Sie reproduzieren damit die Trennung in eine Arbeitswelt, in der es für die Mehrheit nur darum geht, im Sinne des Kapitals zu funktionieren, und einen davon abgespaltenen Freizeit- und Erholungsbereich, auf den sich das Ensemble unserer Wünsche konzentriert. In einer freien Gesellschaft würde Reisen und Tourismus nicht mehr den Wunsch einer Flucht vor einer unerträglich und leer empfundenen Wirklichkeit widerspiegeln, sondern Ausdruck des Interesses sein, andere Kulturen und Naturräume zu erleben.

Der zugehörige Originalbeitrag erschien zuerst am 05. Februar 2022 im Rubikon – Magazin für die kritische Masse.

Bild: Radio Qfm Edition Das Ende des Massentourismus engin-akyurt-unsplash

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