Die Tories stehen kurz davor, alles zu verlieren
... nicht nur ihre Regierungsmehrheit, die sie bereits vor Monaten abgeschrieben haben, sondern auch ihren Status als Volkspartei. Die bevorstehende Niederlage könnte verheerend sein: Laut aktuellen Umfragen könnten 85 Prozent der Sitze, die die Partei derzeit im Unterhaus hält, verloren gehen. Mit nur noch 61 von 376 Sitzen würden die Tories sogar auf den dritten Platz hinter den linksliberalen Liberal Democrats abrutschen.
Dies würde bedeuten, dass die Konservativen unter einer Labour-Regierung nicht einmal mehr die offizielle Opposition stellen könnten, eine in Großbritannien besonders wichtige Rolle, die entscheidend für Redezeit im Parlament ist. Für eine Partei, die im 20. und 21. Jahrhundert die britische Politik fast durchgehend dominiert hat, wäre dies ein absolutes Desaster.
Ein absehbares Desaster
Das wäre vergleichbar mit einem Szenario in Deutschland, in dem die CDU/CSU weniger Mandate als die FDP im Bundestag erhält (wobei der Vergleich hinkt, da die LibDems etwas linker sind als die FDP). Währenddessen steht Labour ein Erdrutschsieg historischen Ausmaßes bevor: Der Partei werden derzeit 460 von 650 Sitzen vorhergesagt, weit mehr als eine einfache Mehrheit – eine überwältigende Mehrheit von über 70 Prozent.
All dies wird durch das Mehrheitswahlsystem im Vereinigten Königreich verstärkt. Doch selbst in proportionalen Umfragen erreicht Labour etwa das doppelte Ergebnis der Tories. Mit ihren 19 Prozent sitzen ihnen die Reform Party von Nigel Farage mit etwa 17 Prozent knapp im Nacken.
Nigel Farage könnte neben Labour-Chef und voraussichtlich nächstem Premierminister Keir Starmer einer der großen Gewinner der Wahl werden. Farage sieht die Chance, seine Reform Party, die einst als Brexit Party gegründet wurde, endlich in der britischen Politik zu etablieren. Bisher spielte die Partei, ebenso wie ihr ideologischer Vorgänger UKIP, nur bei den britischen Europawahlen eine Rolle, wo die Brexit-Befürworter die stärkste Kraft waren, bevor der EU-Austritt vollzogen wurde.
Nigel Farage auf Wahlkampftour
Seitdem legte Farage eine Pause von der Parteipolitik ein – bis er dieses Jahr überraschend zurückkehrte, wieder die Führung der Partei übernahm und sie als Spitzenkandidat nach Westminster führen will. Mit ein paar Mitstreitern könnte ihm dies nun gelingen. Obwohl er bei den Gesamtstimmanteilen den Konservativen bereits nahekommt, ist der Gewinn von Sitzen im britischen Wahlsystem schwieriger. Ihm werden derzeit etwa sieben Sitze vorhergesagt – nicht viel, aber es wäre der Einzug ins Parlament und zusammen mit dem Stimmenanteil ein beachtlicher Erfolg.
Diese Konkurrenz von rechts könnte den Tories viele Sitze kosten. Farage ist bei den Tories verhasst, obwohl beide Parteien ähnliche Wählergruppen ansprechen. Man befürchtet, dass die Tories durch Farages Eintritt ins Rennen und das Abziehen konservativer Stimmen die Sitze verlieren könnten, die sie auf den dritten Platz stürzen würden.
Der Grund, warum Farage viele Tory-Wähler für sich gewinnen kann – trotz taktischer Wahlargumente gegen ihn – liegt im Desaster, in dem sich die Konservativen selbst befinden.
Viele Wähler sind der Meinung, dass ihre Stimme bei einer ohnehin bevorstehenden Niederlage der Tories nicht mehr ins Gewicht fällt und geben sie aus Protest an die Reform Party.
Text: Radio Qfm.
Bild: Radio Qfm.