Ein Warnhinweis vorneweg: Mit Hubert Seipel bin ich mehrfach aneinandergeraten, und insofern bin ich nicht neutral, wenn es um ihn und seine Arbeit geht. Der Journalist und Dokumentarfilmer ist einer der bekanntesten deutschen Putin-Unterstützer. Er hat Putin interviewt und eine Dokumentation über ihn in der ARD untergebracht. In deren Vorlauf hatte sich ein Freund von mir aus dem Umfeld des Kremls im privaten Gespräch nach ein paar Wodkas stolz damit gebrüstet, dass der Kreml es sogar schaffe, einen Lobesfilm über Putin im ersten deutschen Kanal zu platzieren.
Ich wusste damals noch nichts von Seipels Film – und war umso überraschter, als ich davon erfuhr. Der Mann hatte zuvor schon seine Zuverlässigkeit bewiesen, weil er noch Monate vor der Bundestagswahl 2005 voraussagte, dass Schröder im Falle einer Wahlniederlage zu Gasprom wechseln würde. Was sich als wahr herausstellte.
Jetzt wurde durch ein Datenleck klar, was ich schon immer argwöhnte, aber nie beweisen konnte: Der Grimme-Preisträger und Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, der als Auslandskorrespondent für den Stern und den Spiegel arbeitete, erhielt seit mindestens zehn Jahren hohe Geldflüsse aus Moskau, die er gegen jede journalistische Ethik nicht offenlegte.
So unterschrieb der Mann, den unsere Medien bis heute als „Russland-Kenner“ bezeichnen, obwohl er das Land nur von kurzen Reisen kennt und seine Sprache nicht beherrscht, im März 2018 einen Vertrag, der ihm mindestens 600.000 Euro einbrachte – aus der „Sponsoren“-Kasse des russischen Oligarchen Alexej Mordaschow – einem engen Vertrauten Putins, den manche auch als einen von Putins Geldbeuteln bezeichnen.
Abgerechnet wurde über Mordaschows Briefkastenfirma „De Vere Worldwide Corporation“ in der Karibik. Zweck der Zahlung: Seipels geplantes Buch („Putins Macht. Warum Europa Russland braucht“, verlegt 2021) sollte mit der Summe „gesponsert“ werden („die Entwicklung des Projekts unterstützen“).
Ein Vermerk auf dem Vertrag belegt laut ZDF, „dass Seipel bereits 2013 einen ähnlichen Vertrag“ unterschrieben habe – was der ARD-Mann auch nicht bestreitet. Kurz zuvor hatte Seipel seine Doku in der ARD untergebracht, die Putin in höchsten Tönen lobte. Die 600.000 Euro sind also offenbar nur ein Teilbetrag. Dem Sender zufolge hat er die Zahlungen eingestanden. Er bestehe aber darauf, dass das Kreml-Geld keinen Einfluss auf seine ARD-Berichte oder Bücher gehabt habe. Wie glaubwürdig so eine Aussage ist, kann sich jeder selbst überlegen.
Meinen alten Moskauer Quellen zufolge ist der Fall Seipel nur die Spitze des Eisbergs. Die Quellen sind insofern unverdächtig, als sie sich mir gegenüber schon vor Jahren brüsteten, wie weit man den Westen unterwandert habe. Und meine damalige – wie ich inzwischen lernen musste reichlich gutgläubige – Aussage, im Westen ginge es nicht so korrupt zu wie bei ihnen, regelmäßig lächelnd damit konterten, ich sei zu naiv, und sie wüssten selbst, wie bestechlich viele Journalisten, Experten und Politiker seien – weil sie auf ihrer Zahlungsliste ständen. Dabei würden oft auch andere „Vorteile“ als Geld genutzt: Bedeutungssüchtigen Ex-Botschaftern verschaffe man Wichtigkeit, Journalistinnen, die nebenbei noch ein Geschäft betrieben, würden Kunden zugeschustert, Playboys Frauen zugeführt etc.
Handfeste Belege für diese Aussagen gab es nicht, bis jetzt der Seipel-Vertrag publik wurde. In Moskau gilt die weitreichende Korrumpierung westlicher Politiker, Medien, Experten und Wirtschaftsführer dagegen als offenes Geheimnis. Auf das man sehr stolz ist. Sieht man in die Geschichtsbücher und etwa in die Stasi-Unterlagen, muss man konstatieren: Es wäre nicht überraschend, wenn die Aussagen wahr sind. Eher wäre es verwunderlich, wenn sie nicht zutreffen würden – da Moskau (und früher Ost-Berlin) seit Jahrzehnten mit diesen Methoden arbeiten.
Erstaunlich ist, wie wenig sie in Deutschland im Fokus der Öffentlichkeit stehen – während zweifelsohne vorhandene Einflussversuche etwa der USA teilweise groß thematisiert werden. Je nach Ausrichtung der jeweiligen Medien – pro USA oder pro Putin – wird offensichtlich jeweils nur die Beeinflussung von einer Seite wahrgenommen und kritisiert. Und gegenüber der anderen werden beide Augen verschlossen.
Was heute vergessen ist: Früher – bevor Putin-Kritik in den deutschen Medien wohlfeil war und man als expliziter Kritiker wie Putin Gefahr lief, seinen journalistischen Job zu verlieren (ja, diese Zeiten sind noch gar nicht allzu lange her) – wurde Seipel von den großen Medien in Deutschland hofiert. Vor allem von den öffentlich-rechtlichen und den Talkshows, zu denen er oft eingeladen wurde.
Jetzt üben sich die Sender in Heuchelei. Der für Seipel zuständige NDR versprach laut ZDF die Aufklärung der Vorwürfe. Bei einer „Zahlung zur Beeinflussung eines Autors“ sehe der NDR „sich und sein Publikum getäuscht“.
Pharisäer in der Anstalt
Was für eine Heuchelei! Aus absolut zuverlässiger Quelle weiß ich: Die ARD wurde intern gewarnt, dass Beweise vorliegen, denen zufolge Seipels Putin-Doku vom Kreml vorab geprüft und freigegeben wurde. Das wäre eine grobe Missachtung jeglicher journalistischen Mindeststandards. Die Reaktion der NDR-Oberen: Sie kehrten die Informationen unter die Decke und taten so, als wüssten sie von nichts. Auch ARD-interne Vorbehalte, dass der Film wie Hofberichterstattung wirke und journalistisch unsauber sei, kehrte die GEZ-Chefetage unter den Teppich. Bis heute wurde die Causa ARD-intern nicht aufgeklärt. Ich wusste frühzeitig von ihr – und es war einer der ersten Momente, in denen mein früher großes Urvertrauen in das öffentlich-rechtliche System erschüttert wurde.
Die große Frage für mich ist jetzt: Wer von den Kollegen wird noch von irgendwelchen ausländischen Geldgebern, egal welchen, bezahlt? Ich hoffe, dass wir es, wie jetzt im Falle Seipel, irgendwann erfahren.
Die Enthüllung über den ARD-Mann war übrigens nur eine Art „Beifang“ in einem großen internationalen Rechercheprojekt der unterschiedlichsten Medien, das anhand eines riesigen Daten-Leaks aus Zypern aufzeigt, wie Oligarchen, Geldwäscher und dubiose Unternehmer den EU-Staat Zypern für ihre Geschäfte nutzen.
Wie dreist Seipel lügt, der laut Insider-Informationen über das Umfeld von Gerhard Schröder an den Kreml „vermittelt“ wurde, quasi als Auftragsjournalist, zeigt ein Live-Auftritt von ihm im SWR vor zwei Jahren (siehe hier). Moderator Wolfgang Heim fragte damals: „Haben Sie jemals Honorar, wenn ich so direkt fragen darf, aus Russland bezogen?“
Hubert Seipel wiederholte die Frage und tat so, als sei er ungläubig und entsetzt: „Honorar aus Russland?“,
„Geld“, so die erklärende und trockene Retour von Heim.
Seipel: „Sie meinen also direkt von …“?
Darauf Heim: „direkt oder indirekt“.
Sofort fällt ihm Seipel empört ins Wort und beleidigt: „Geht’s noch?“ Und er hakt nach: „Darf ich meine Antwort geben: Geht’s noch“?
Sodann fügt er hinzu, immer noch im Duktus der Empörung: „Nein!“
Heim sagt: „Sie brauchen mich doch nicht so böse ansehen“.
Sodann wirft er Heim vor, ihn mit der Frage zu diskreditieren und einen bösen Verdacht in den Raum stellen zu wollen. Daraufhin bestätigte ihm Heim, er habe den Verdacht „für meine Vorstellungen ausgeräumt“.
Jetzt ist klar: Er hat gelogen und Heim sowie die Zuschauer betrogen. Auf eine besonders dreiste und zynische Weise.
Der Fall sollte für alle Leser und Zuschauer ein Anlass sein, kritisch zu hinterfragen, wenn Journalisten einer Regierung gegenüber – egal welcher – völlig unkritisch sind und deren Sichtweise eins zu eins wiedergeben. Ein anständiger Journalist hat jede Regierung zu kritisieren – egal, ob sie in Berlin, Washington, London, Kiew oder in Moskau sitzt. Ist die Sichtweise eines Journalisten wie im Falle Seipel und vielen anderen eins zu eins mit der einer bestimmten Regierung identisch, ist zumindest eine gewisse Skepsis angebracht.
Quelle: Reitschuster.de
Bild: Radio Qfm
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