„Eine Störung der Geschäftsgrundlage“ Der Lockdown und die Mietminderung

Monatelang herrschte Unsicherheit darüber, ob Einzelhandel, Hotels und Gastronomie ihre Miete mindern dürfen, wenn der Staat ihr Geschäft schließt.

Jetzt wird das möglich, allerdings unter bestimmten Voraussetzungen. Kritiker warnen vor einer gefährlichen Kettenreaktion.

Deutschland ist wieder dicht. Geschäfte sind zu, Hotels, Gastronomie und Kultur sind es schon seit Wochen.

Viele laufende Kosten müssen die Einrichtungen und Betriebe jedoch weiter zahlen. Einer der größten Kostenposten ist regelmäßig die monatlich zu zahlende Miete.

Vor allem in zentralen Lagen haben Vermieter in den vergangenen Jahren immer höhere Preise verlangt, Einzelhändler stehen entsprechend unter Druck.

Jetzt sorgt der Gesetzgeber für Erleichterung – jedenfalls aus Mietersicht.

Der Bundestag dürfte noch in dieser Woche eine Regelung beschließen, wonach Gewerbetreibende sich auf eine Corona-bedingte Schließung durch den Staat berufen können, wenn sie ihren Vertrag neu verhandeln wollen.

Eine solche Schließung gilt jetzt als „Störung der Geschäftsgrundlage“ – und damit als Begründung für eine Anwendung des Paragrafen 313 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Demnach könnte eine Miete gemindert oder gestundet werden, oder der Vertrag vorzeitig aufgelöst werden. Eine entsprechende Formulierungsvorlage für das Gesetzgebungsverfahren liegt WELT vor.

Darin heißt es:

Das sogenannte Vorrang- und Beschleunigungsgebot „findet auch dann Anwendung, wenn der Mieter die Anpassung der Miete als Einrede gegen die Zahlungsklage des Vermieters erhebt oder andere Anspruchsgrundlagen wie etwa die Mietminderung für die Anpassung der Miete im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie herangezogen werden“.

Im Klartext:

Gewerbemieter könnten – in Absprache mit dem Vermieter – auch die Miete herunterfahren.

Ein Rechtsanspruch besteht allerdings nicht. Auch weiterhin ist die Vertrags-Nachverhandlung eine Frage des Einzelfalls.

Tourismus, Gastronomie und Einzelhandel hatten schon seit der ersten Covid-19-Welle eine Klarstellung gefordert.

Auch in anderen europäischen Ländern sind Mieter zu Absenkungen berechtigt.

In Deutschland ließ eine entsprechende Regel auf sich warten. Das führte zu immer neuen Gerichtsstreitigkeiten.

Mitte November etwa verpflichtete das Landgericht Frankfurt ein Bekleidungsgeschäft trotz 54 Prozent Umsatzrückgang zur vollen Mietzahlung, weil das Gesetz nichts anderes zuließ.

In Kürze sieht die Rechtslage dann anders aus.

Die entsprechenden Änderungen für Miet- und Pachtverhältnisse werden in das Gesetz zur Restschuldbefreiung integriert.

„Aufgrund der Corona-Pandemie haben viele Gewerbebetriebe massive Einnahmeausfälle, während ihre Fixkosten wie Miete oder Pacht weiterlaufen“, sagt Jan-Marco Luczak, rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

„Ihnen wollen wir mit dem Gesetz den Rücken stärken und Rechtssicherheit geben.“

Nur schwer betroffene Mieter dürfen Miete mindern

Vorrang habe aus seiner Sicht allerdings weiterhin die individuelle Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien. Zudem sei die Regelung so gefasst, dass nur wirtschaftlich schwer betroffene Mieter mindern können. „Mieter, die aufgrund der Pandemie keine oder weniger Umsatzeinbußen haben oder sonst wirtschaftlich gut aufgestellt sind, werden daher in der Regel keinen Anspruch auf Vertragsanpassung haben“, so Luczak.

Im Sommer hatte der Sportartikelhersteller Adidas für Aufsehen gesorgt, als das Unternehmen die Miete für mehrere Ladengeschäfte in Deutschland stunden wollte.

Deshalb stellt des Gesetzgeber in der Begründung auch klar: „Zu berücksichtigen sein wird auch, ob der Mieter öffentliche oder sonstige Zuschüsse erhalten hat, mit denen er die Umsatzausfälle infolge staatlicher Beschränkungen jedenfalls teilweise kompensieren kann, und ob er Aufwendungen erspart hat, weil er etwa Kurzarbeit angemeldet hat oder der Wareneinkauf weggefallen ist. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls. § 313 BGB gewährt keine Überkompensation.“

In der Immobilienwirtschaft sieht man das Gesetz kritisch. Nicht nur einzelne private Vermieter könnten durch Mietkürzungen ihrerseits in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, sondern auch größere institutionelle Anleger, wie Fonds oder Pensionskassen, die in den vergangenen Jahren ihre Immobilienportfolios ausgebaut haben. Der Branchenverband ZIA (Zentraler Immobilien Ausschuss) warnt deshalb immer wieder vor einer Zahlungsausfallskette, bei der am Ende sogar Bankkredite notleidend geraten könnten.

Zudem würden sich die Vertragsparteien ohnehin meistens einig. 50 Prozent der ZIA-Mitgliedsunternehmen hätten sich mit ihren Mietern auf Stundungen oder Minderungen geeinigt, in weiteren 40 Prozent sei keine Einigung nötig, weil es sich um Lebensmittelhändler, Baumärkte oder Apotheken handele.

„Was jetzt geplant ist, galt auch in Ministerien bis vor Kurzem als ein Eingriff in die Vertragsfreiheit eines Bürgerlichen Gesetzbuches, das über Jahrhunderte pandemieerfahren und bereits ausgleichend ist“, so ZIA-Präsident Andreas Mattner zu WELT.

„Eine Änderung des Paragrafen 313 ist eher ein Sand-in-die-Augen-Streuen oder Sich-aus-der-Verantwortung-Stehlen.“ Der Einzelhandelsverband HDE zweifele die ZIA-Darstellungen zu Vertragseinigungen an. In der Vorlage für das neue Gesetz heißt es zudem, es werde „häufiger berichtet, dass insbesondere Immobilienfonds entsprechenden Nachverhandlungen ablehnend gegenüberstünden“.
Vermieter oft nicht zur Reduzierung der Miete bereit

Auch Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sieht wenig Bereitschaft der Vermieter, auf Mieter zuzugehen: „Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Vermieter sich gerade nicht auf Gespräche mit ihren Gewerbemietern eingelassen haben und es nicht zur Reduzierung der Miete kam“, so Fechner gegenüber WELT.

„Die Zahlen des ZIA entsprechen nicht den Befragungen der Verbände. Der HDE hat die Rückmeldung seiner Mitglieder, dass zwei Drittel keine Einigung mit ihren Vermietern erzielen konnten.“ Der Hotel- und Gaststättenverband habe berichtet, dass sogar nur bei 20 Prozent der Verträge die Miete gesenkt worden sei, 40 Prozent der Vermieter hätten gestundet, weitere 40 Prozent „überhaupt kein Entgegenkommen gezeigt“.

„Durch die jetzt notwendigen Geschäftsschließungen wird die Zahl der Gewerbemieter mit Zahlungsschwierigkeiten deutlich zunehmen“, sagt Fechner. „Es braucht deshalb die Rechtssicherheit, dass Corona eine Störung der Geschäftsgrundlage ist und eine Reduzierung der Miete verlangt werden kann.“

Die Gefahr, dass sich solvente Unternehmen eine Mietminderung zunutze machen, sieht Fechner nicht:

„Missbrauch wird dadurch verhindert, dass nur bei erheblichem und Corona-bedingtem Umsatzrückgang den Gewerbemietern ein Anspruch auf Reduzierung der Miete zusteht, deren Betrieb geschlossen wurde.

Wer diese Regeln missbraucht und seine Miete kürzt, obwohl er keine Einbußen hat, dem kann gekündigt werden, und er kann sofort verklagt werden, da die Miete weiterhin fällig ist.“

Anmerkung der Redaktion:

In einer früheren Version dieses Artikel war lediglich von Mietminderungen die Rede. Im § 313 BGB geht es aber generell um Vertragsänderungen, also auch bspw um Stundung oder vorzeitige Auflösung. Dies haben wir nun ergänzt. Zudem haben wir eine Passage aus der Gesetzesbegründung hinzugenommen, in der betont wird, dass es weiterhin eine Frage des Einzelfalls ist.

Quelle: welt.de

Bild: Unsplash – tim-mossholder

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