Meinrad aus Freiburg in Berlin

Mal beim Protestcamp neben dem Kanzleramt von Dirk Scheller vorbei geschaut

Auszüge aus seinem Telegramm-Blog

https://t.me/Freiburg_Berlin2020

Samstag, 10.10.2020

11:59 Uhr Schweigemarsch vom Adenauerplatz zur Siegessäule.
Außer dem offiziellen Banner „Wir müssen reden“ sind keine Transparente zu sehen. Die Abstandsdisziplin ist ebenfalls excellent. Es werden 4. er Reihen gebildet, schwarze Masken verteilt. Das Schweigen ist in meinen Augen etwas zu laut. Auch ich lasse mich hinreißen mit meinen Demonachbarn zu reden.
Es fühlt sich so gut an in dieser großen Menge das WIR zu erleben.
Allerdings sehe ich wenige Menschen am Rande der Route, auf die wir unmittelbar wirken können.

Ich komme mit Jürgen aus Sachsen ins Gespräch. Er erinnert sich noch an die Tage vor 30 Jahren. Er ist auch Elektroingenieur. Wir überlegen, was in diesem Land und dieser Welt gerade geschieht. Uns ist, als ob ein Politiker, egal welcher Couleur, in diesem System nur in höhere politische Ämter gelangen kann, wenn er ausreichend Opportunismus in sich trägt (siehe Schäuble: „Die Mehrheit der Bevölkerung steht hinter den Maßnahmen, also ist es Demokratie.“ Dass die Mehrheit aufgrund von Fehlinformation herbeigeführt wurde interessiert ihn nicht). Heißt, Nichtopportunisten werden einfach von diesem System ausgefiltert.
Frage: Wie müsste ein System aussehen, das den Opportunisten ausfiltert?

Ram el Saman (oder so), ein syrischer Youtuber macht von mir ein spontanes Interview in seinem live stream. Später helfe ich ihm mit meiner Powerbank aus, so dass er seinen Stream fertig stellen kann.

Mehrere bekannte Gesichter kreuzen meinen Weg. Das stärkt!

An der Siegessäule gibt es noch eine kurze Abschlussrede von Markus Hainz. Dann löst sich die Versammlung wieder auf.

Um 16:00 Uhr geht`s am Alex weiter.
Auf dem Weg dahin sehe ich plötzlich slawische Hütchenspieler. Sofort erinnere ich mich an meinen ersten Besuch in Berlin vor knapp 30 Jahren, als man mir, ganz unbedarft wie ich war, 100 DM abgezockt hatte. Spontan halte ich meine Kamera darauf. Der Hütchenspieler winkt ab. Ich ganz naiv: „Wieso? Ist doch ein schönes Spiel!“. Aber die Bande, bestehend aus annähernd allen Umstehenden und dem Spieler packen zusammen und verschwinden in alle Richtungen. Der Rikschakutscher neben mir lacht „Das wussten wir auch nicht, dass man nur die Kamera drauf halten muss um sie zu verjagen.“
Wie Krähen, die darauf warten, dass sie sich wieder den Nüssen am Boden nähern können, sobald die Menschen weg sind warten die Bandenmitglieder vereinzelt an auseinanderliegenden Ecken. Für mich ist plötzlich alles offensichtlich. Während ich mich mit dem Rikschakutscher unterhalte findet die Bande sich schon wieder zusammen und macht weiter. Einer ist der Spieler, 5 immitieren Passanten und setzen und gewinnen und freuen sich. Der unbedarfte Passant lässt auch nicht lange auf sich warten….
Als ich mein Handy wieder hervorhole um mir lediglich einen Youtubkanal auf´s Ohr zu legen, stiebt die Bande wieder außeinander. Sie beobachten mich genau…
Hm…🤔…ich würde mal sagen, dass das, was ich hier sehe im Prinzip Partisanentaktik darstellt. Sie machen das perfekt, flink und eingespielt.
Ich erinnere mich an den Diskurs auf dem Youtubekanal von Uwe Loose (im Zusammenhang mit gewaltfreiem Widerstand), wo ein Beteiligter genau diese Taktik erwähnt, wie z.B. in einer Stadt Kreuzungen lahmgelegt werden können indem man eine Kreuzung blockiert und beim Eintreffen der Polizei alle Beteiligten in alle Richtungen ausschwärmen…und ab zur nächsten Kreuzung…

Als ich auf dem Alexanderplatz ankomme läuft die Demo bereits. Haiko Schöning, Markus Hainz und Margareta Griesz-Brisson erkenne ich spontan…
Die Polizisten gehen durch die Menge und sprechen alle Menschen ohne Masken an. Atteste werden akzeptiert.
Als sie unmittelbar eine Frau neben mir wegen einem Zitronennetz ansprechen
„Haben Sie keine bessere Maske? Ich erkenne dass dieses Netz nicht geeignet ist Wassertröpfchen ab zu halten“.
Die Frau hat ihr best mögliches getan, nickt und holt eine dünne Papiermaske aus der Tasche. Der Polizist ist zufrieden. Ich aber nicht. Mit mehr Emotion als beabsichtigt zeige ich mit meine Zeigefinger auf ihn (wir sind nahe der Lautsprecher und man muss laut reden) und fordere ihn auf die exakte Definition einer Maske vorzulegen, die ihn dazu ermächtigt das Zitronennetz abzulehnen. Er meint „kommen Sie mit zum Wagen, dann gebe ich sie ihnen“. Ich akzeptiere und gehe mit ihm und seinem Kollegen zum Wagen. Während der erstere das Papier holt bleibt der andere neben mir stehen. Mir ist langweilig🥱 Also nutze ich die Gelegenheit zur Polizistenansprache
„Sagen Sie mal, was ist eigentlich los in diesem Land? Sehen sie denn nicht die Unverhältnismäßigkeit dieser Coronamaßnahmen? Sie selbst könnten doch erkennen dass z.B. die exponentiellen Zahlen des RKI…“
„Wollen Sie sagen, dass ich dumm bin?“
„Wir haben soeben 30 Jahre Wende gefeiert. Auch damals standen plötzlich Menschen auf der Straße, die wir heute feiern. Auch damals gab es Polizisten, die ab einem gewissen Punkt erkannt haben, dass es nicht mehr so weiter geht…“
Andreas (ich kenne ihn da noch nicht) kommt sportlich in seinem Rollstuhl vorbei.
„Entschuldigung, sind Sie nicht der Radler vor dem Kanzleramt?“
„Ja“
„Super, was Sie da machen. Danke schön!“
„Wow, danke Ihnen“
Meine Ansprache an den Polizisten und diese verstärkende Resonanz gewinnen die Meinungshoheit in dieser kurzen Begegnung.
Ich spüre die Wirkung auf den Polizisten und schaue betroffen auf den Boden, den Polizisten nicht mehr konfrontierend.
Ich erwähne dies, weil es mich an die Geschichte mit Wolfgang erinnert, als dieser tapfer vor dem Reichstag in die Politikerwarteschlange redete und von meiner Seite nur ein „Genau“ benötigt wurde um eine Welle der Betroffenheit auszulösen.
Vielen lieben dank an Andreas, der die Situation scharfsinnig erkannte und mit seiner kleine Initiative eine gewaltige Verstärkung auslösen konnte.

Der erste Polizist kommt wieder zum Vorschein und zeigt mir auf seinem Handy eine interne Polizistenanweisung auf seinem Handy, die wiederum auch nur auf die Landesverordnung verweist mit Angabe von Paragraphen und Absatz.
Ich belasse es dabei, weise aber noch mal darauf hin:
„Sie meinen zu wissen, dass durch ein Zitronennetz keine Wassertröpfen abgehalten werden. Ich weiß als Wissenschaftler und aufgrund eigener Untersuchungen dass das, was sie im Gesicht tragen keine Viren abhalten kann!“
Meine Angst vor Polizisten ist aufgrund der vielen Begegnungen mittlerweile verschwunden. Er meint meinen Respekt dadurch erhöhen zu können, dass er sich ganz dicht vor mich stellt und mir direkt in die Augen schaut. Er hat schöne grüne Augen. Sie sind weniger als 30 cm von meinen entfernt (meine sind auch grün😊).
Ich denke nur, dass er sich ja ganz schön sicher fühlt in dieser schweren Pandemiezeit, lediglich durch diese mittlerweile abgenutzte Maske von mir getrennt.
Aber wir kommen emotional auf einen „grünen“ Nenner. Er erzählt mir, dass sie ja bereits ganz nachsichtig, verglichen mit vergangen Aktionen, mit den Demonstranten umgehen. Ich akzeptiere, nicke mit dem Kopf und bedanke mich. Wir gehen in Wohlwollen und gegenseitigem Respekt auseinander.

Keine 2 Minuten nach diesem Gespräch (wirklich weniger als 5 Min) spricht Markus Hainz auf der Bühne zufällig über die genaue Definition in der Landesverordnung dass nämlich die Maske lediglich dazu geeignet sein muss eine mögliche Infektion über Mund und Nase zu „mindern“!

Bild: Meinrad Telegrammkanal – „Mal beim Protestcamp neben dem Kanzleramt von Dirk Scheller vorbei geschaut“


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