Eklat im Bundestag

Man kann über die Maske unterschiedlicher Meinung sein

Genauer gesagt: 

Es müsste in einer Demokratie eigentlich möglich sein, über Maßnahmen wie die Maskenpflicht unterschiedlicher Meinung zu sein. Was bei uns leider nur sehr begrenzt der Fall ist. In jedem Fall sollte, wie bei jeder Vorschrift, auch bei der Maskenpflicht die Verhältnismäßigkeit gewahrt sein. Im Bundestag muss ein Abgeordneter weder am Rednerpult noch auf seinem Platz eine Maske tragen. Maskenpflicht gilt nur für die wenigen Meter, die er zwischen beiden zurücklegt, bzw. beim Betreten und Verlassen des Plenarsaals und außerhalb von diesem.

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth von den Grünen wurde offenbar während der Rede des Abgeordneten Thomas Seitz von der AfD am Freitag darauf aufmerksam gemacht, dass seine Maske nur ein löchriges Tuch war. Jedenfalls scheint sie keine Adleraugen zu haben und ihr war das entgangen, als Seitz zum Rednerpult schritt und dieses in Beschlag nahm. Dennoch war es ihr aufgefallen, als er dieses verließ. Da er während der Rede mit dem Rücken zu ihr stand und das Textil auch nicht sichtbar in der Tasche trug, ist klar: Da hat sich wohl jemand durch besondere Beobachtungsgabe und Dienstbeflissenheit um die Volks- bzw. Volksvertreter-Gesundheit verdient gemacht und den Abgeordneten gemeldet 

(was man laut Duden übrigens auch mit dem Synonym „denunzieren“ bezeichnen könnte).

Man kann zu der Aktion von Seitz stehen, wie man will. Mit der löchrigen Maske hat er klar gegen die Intention der Maskenpflicht im Bundestag verstoßen. Aber auch gegen deren Buchstaben? In der entsprechenden“Anordnung“ ist nur ganz allgemein von „Mund- und Nasenbedeckung“ die Rede. Nicht von deren Beschaffenheit (nachzulesen hier). Und Unklarheiten in Vorschriften gehen zu Gunsten der Betroffenen. Wenn die Verwaltung nicht in der Lage ist, klare Regeln zu erlassen, muss sie mit den Konsequenzen leben. Zudem sind Provokationen von jeher Teil des parlamentarischen Betriebs. Man erinnere sich nur an Joschka Fischers Ausspruch: „Herr Präsident, mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch“. Ob es von Roth klug war, die Provokation nicht einfach zu übersehen, sei dahingestellt.

Präsidiales Eigentor

Die amtierende Präsidentin, selbst ohne Maske, obwohl sie den Mindestabstand an ihrem Platz kaum einhalten kann, zwang den Abgeordneten, einen den Regeln entsprechenden Mund- und Nasenschutz anzulegen – und überreichte ihm diesen mit einer graziösen Handgeste: „Ich fordere Sie auf, diese Maske zu tragen!“ Die Abgeordneten applaudierten. Dabei entlarvte sich die Grünen-Politikerin selbst: Ganz offensichtlich ist sie mit den Hygiene-Vorschriften für Masken nicht vertraut. Denn tatsächlich sollte niemand eine solche anziehen, die zuvor jemand anderes angefasst hat, erst recht nicht mit ungewaschenen Händen (und Frau Roth hat kein Waschbecken auf dem Rednerpult). Zudem verwendete sie einen benutzten Stift, um die Maske auszupacken – auch das hygienetechnisch ein GAU. Und bei der Auspack-Aktion verletzte sie massiv den Mindestabstand zur Schriftführerin – wohlgemerkt ohne Maske.

Dass ausgerechnet die Grünen, die früher die Verletzung von Konventionen und den Bruch von Regeln als ihr Markenzeichen sahen, sich heute gebärden, als seien sie die Reinkarnation ihres Intimfeindes von einst, des reaktionären Spießers, hat schon etwas Tragikomisches. Früher war ihr Motto: „Legal, illegal, scheißegal“. Heute agieren viele von ihnen wie geborene Hilfspolizisten – Beifall für Wasserwerfer-Einsätze inklusive, wenn es gegen die Richtigen geht. Roth empörte sich: „Ein Theater, was hier abgeht.“ Ja, dieser Vorwurf trifft auf Seitz durchaus zu. Aber genauso auf die Grünen-Politikerin selbst. Zumal erst sie Seitz die Tribüne für das „Theater“ bot.

Mein erster Eindruck, als ich die Szene sah: 

Ich fühlte mich an den „Gesslerhut“ erinnert. Das mag überzogen sein. Doch es war meine erste Assoziation, und daran kann ich nichts ändern. Nach der Legende ließ der Landvogt Hermann Gessler in Altdorf einen Hut aufstellen, den jeder Vorbeikommende zu grüßen hatte. Wilhelm Tell weigerte sich, diese Unterwerfungsgeste auszuführen. Deshalb wurde er zum berühmten „Apfelschuss“ auf seinen eigenen Sohn gezwungen. Wenigstens gibt es heute keine Apfelschüsse mehr.

Quelle: Reitschuster.de

Quelle: Youtube

Bild: Unspash – Dmitry Ratushny

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